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Asunto: Begegnung mit der Abwesenheit
Fecha: Tue, 05 Oct 2004 14:20:26 -0300


Begegnung mit der Abwesenheit
Trotz allem verbindet das Telefon
Das Gespräch zwischen dem Liebenden und dem Geliebten ist ein Liebesdiskurs, der auch am Telefon geführt werden kann. Vorliegender Essay versammelt einige Gedanken dazu.

Das Telefon als Gerät zum Empfangen und Senden mündlicher Nachrichten lässt den Teilnehmer heute selbst den Verbindungsaufbau steuern, der überwiegend automatisiert ist. Die Steuerung erfolgt über die Wählscheibe oder die Tastatur. Während früher der Apparat, dessen Kabel die Bindung markierte, den Benutzer an einen Raum gebunden und ihn in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt hat, entfällt diese Charakteristik mit zunehmender Technologisierung. Ein Handy kann überallhin mitgenommen werden, es bindet nicht durch ein Kabel.

Das Gegenüber ist beim Gespräch am Telefon nicht sichtbar. Man kann keine äusserlichen Regungen erkennen, eine Situation, die Rätsel auferlegt. Was geht im anderen vor? Wo ist er? Wie ist er gekleidet? Man weiss es nicht.

Dem Liebenden gegenüber ist der Geliebte, zu dem der Liebende Zugang sucht. Diesen denkt er dort zu finden, wo der andere ist. Der andere aber ist dort, wo der Liebende nicht ist. Der Geliebte ist abwesend. Das Telefon wird zum Gegenüber für den Telefonierenden, das ihm, dem Hörenden und Sprechenden, die Anwesenheit des abwesenden vorgaukelt. Also versucht der Liebende, den Geliebten der Abwesenheit zu entreissen. (Der andere wird damit zum Objekt, das anwesend gemacht werden kann.)

Die Abwesenheit bedingt die Entfernung des anderen. Der andere ist nicht greifbar, er befindet sich in einem flüchtigen Zustand. Die Entfernung ist damit nicht zwangsläufig eine körperliche, denn auch der körperlich anwesende kann abwesend sein. Auch dann ist der andere nicht fassbar, ist er fern. Man kann ihn nicht erreichen, nicht zu ihm gelangen. Aber ist der andere nicht immer abwesend?

Ist dem Liebenden die Abwesenheit des Geliebten bewusst, spürt er ein Verlangen nach ihm, er vermisst ihn, sehnt sich nach seiner Anwesenheit, seiner Nähe. Das Verlangen aber lässt den Geliebten zum Objekt werden, dessen Stimme zum Beispiel am Telefon verfügbar gemacht werden kann. Der Liebende wird zum Subjekt. Der Liebende versucht, den Geliebten der Abwesenheit zu entreissen. Indem er mit ihm spricht, ihm schreibt oder ihn besucht, empfindet das liebende Subjekt das Objekt seines Verlangens ungleich näher. Nur bleibt der andere, da er selbst auch Subjekt ist, immer in Distanz, er kann die Subjektqualität nie aufgeben und ausschliesslich Objekt werden. Er wird nie vollständig anwesend sein können. (Sonst müsste ich das gleiche wie du, mein Körper der deinige sein.) Vollständige Anwesenheit des anderen wäre Identität von Liebendem und Geliebten.

Die Auseinandersetzung des Liebenden mit dem Geliebten ist der Versuch, eins zu werden mit dem Geliebten. Das Bewusstsein muss wissen, dass der Geliebte der andere ist. Wenn der Geliebte der andere ist, ist er abwesend. (Dies kann nur der andere sein.) Anwesend bin ich, abwesend der andere. Der Liebende weiss um die Abwesenheit des anderen und versucht, ihr zu begegnen. Der Liebesdiskurs ist der Versuch, die Abwesenheit des anderen zu überwinden.

Das Bewusst-Werden der Abwesenheit des anderen (was die Voraussetzung für den Liebesdiskurs ist) ist ein Prozess, dessen Gestaltung Zeit beansprucht. Zeit des Wartens, der Sehnsucht, des Verlangens. Der Wartende hat Zeit, die Abwesenheit des anderen zu spüren. Der Wartende ist der ruhende, er steht gewissermassen still, er ist sesshaft. Traditionellerweise werden diese Attribute dem Weiblichen zugeteilt.

Die Intimität, die Ruhe und Zeit, die für den Liebesdiskurs benötigt wird, kann nicht überall aufrecht erhalten werden. Am Telefon entsteht sie einerseits dadurch, dass der Hörer ans Ohr gehalten wird, andererseits dadurch, dass man sich an einen Ort zurückzieht, der ein solches Gespräch erlaubt. Für den Liebesdiskurs am Telefon bleibt also die räumliche Gebundenheit bestehen.

Im Liebesdiskurs begegnet der Liebende der Abwesenheit des Geliebten, die er zu manipulieren sucht. Durch Worte soll der Geliebte gebunden, erfasst werden. Damit wird der Diskurs ein weiblicher, ein hoffnungsloser Versuch, den anderen anwesend zu machen, ihn gewissermassen aufzusaugen, sich gleich zu machen, ihn sesshaft zu machen, ein Versuch, ihn zu "feminisieren". Der Liebesdiskurs am Telefon wird damit zum weiblichen Akt.

Abwesend ist der Körper des Geliebten, anwesend seine Stimme, seine Worte. Er ist fort und gleichzeitig ist er da. Während der eine spricht, hört der andere zu. Diese Gleichzeitigkeit deutet darauf hin, dass, weil die Handlungen so verschieden sind, vollständige Anwesenheit nie erreicht werden kann.

Am Telefon erhält der Liebende eine offensichtliche Doppelnatur: er spricht und er hört. Jean Cocteaus Theaterstück "Die geliebte Stimme" erzählt davon: Hier ist die Abwesenheit des Geliebten zu spüren, weil nur ein Mensch zu hören und zu sehen ist. Der abwesende Geliebte, dessen Stimme unhörbar ist, zeigt die Hoffnungslosigkeit des Liebesdiskurses am Telefon und die Ohnmacht der Rede. Die geliebte Stimme, deren Sprache nur aus Pausen besteht, ist das Paradox der vorgeführten Abwesenheit. Der Versuch, Abwesenheit zu inszenieren, drängt nach eben dieser Stille. Diese aber lässt den Sprechenden lächerlich wirken.

Am Telefon wird die Aussichtslosigkeit der Liebe bewusst: Der Liebende liebt so ausserordentlich, dass dem auf der anderen Seite nichts entsprechen kann. Das Telefon wird damit zur Schnur, zur einzigen Verbindung, die über Leben und Tod entscheidet. Spätestens mit der Beendigung des Gesprächs, mit dem Ertönen des Summtones ist der andere endgültig weg.

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